REACH-Revision auf dem Prüfstand
28.06.2024
„Ich bin`s“ – „Ich auch“ – so das herzliche Willkommen von Sabine Herold, Geschäftsführende Gesellschafterin der Firma DELO Industrie Klebstoffe, und Walter Nussel MdL, Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung. Man kennt sich bereits vom Praxis-Check zum Lieferkettengesetz. Und doch ist das heutige Aufeinandertreffen bei DELO in Windach eine Premiere: der erste Praxis-Check des Beauftragten, an dem auch Vertreter der EU-Kommission teilnehmen.
Mit Kristin Schreiber, Direktorin „Ecosystems I: Chemicals, Food, Retail“ und Otto Linher, Senior Expert „Unit F.1 REACH“, beide aus der federführenden EU-Generaldirektion (DG GROW) beim EU-Dossier REACH sind zwei Experten der EU-Kommission auf Einladung des Beauftragten nach Bayern angereist. Zusammen mit Vertretern aus der Staatskanzlei, dem Wirtschaftsministerium, dem Umweltministerium und den Mittelstandsbeauftragten des Verbands der Chemischen Industrie wurden die anstehende Revision der REACH-Verordnung und die damit verbundenen Szenarien für den deutschen Mittelstand diskutiert.
REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien) und ist eine EU-Chemikalienverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1907/2006). Sie gilt für alle Industrie-Chemikalien und verpflichtet Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender sicherzustellen, dass die Stoffe, die sie herstellen, in Verkehr bringen und verwenden, die menschliche Gesundheit oder die Umwelt nicht nachteilig beeinflussen.
Nussel ist es ein großes Anliegen, mit dem von ihm in Bayern etablierten Praxis-Check auch für Vorgaben der EU und des Bundes eine bessere Berücksichtigung der Anliegen der Praxis sicherzustellen. Denn eines wird durch die klaren Worte von Frau Herold deutlich – es geht um den Erhalt des Wirtschaftsstandortes Deutschland. „Kommen die Stoffverbote 2040 wie zuletzt diskutiert, können wir bis Ende der 2030er Jahre 20 % und bis Ende der 2030er Jahre 80 % unserer Klebstoffe nicht mehr hier in Windach produzieren“, so Herold.
„Wir reden von Bürokratieabbau und erleben Bürokratieaufbau“, lautet eine der ersten ernüchternden Aussagen der Praxisvertreter. Regelungen würden nicht mehr aufgrund von Notwendigkeit erlassen, sondern weil diese wünschenswert seien. Dies könne man sich aber schlichtweg nicht mehr leisten.
Zudem verkenne die EU, aber auch der Bund, dass durch überbordende Reglementierung letztlich eine Verlagerung der Produktion in das Nicht-EU-Ausland verursacht werde, da die Rohstoffe auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen seien. Folge wäre eine Produktion im Ausland ggf. unter niedrigeren Arbeitsschutz- und Umweltstandards sowie ein Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen in der EU. Dies sei weder für die hehren Ziele noch für den Standort Europa ein Gewinn.
„Für die Praxis elementar wichtig und mit enormer Erleichterung verbunden wäre die Klarstellung, dass im Zuge der REACH-Revision der „B2B“-Bereich [Business-to-Business] von den diskutierten Stoffverboten ausgenommen ist und sich deren Geltung nur auf den „B2C“-Bereich [Business-to-Consumer] erstreckt“, so Herold. Die EU-Vertreter stellten klar, dass der von DELO angenommene und offensichtlich so in Deutschland diskutierte Umsetzungsplan nicht dem entspricht, was von der EU-Kommission angekündigt wurde. Die in der Chemikalienstrategie erwähnten Stoffverbote beziehen sich ausschließlich auf Verbraucher- und in einem geringeren Maße auch auf gewerbliche Produkte. Industrielle Nutzungen (B2B) sind aber in jedem Fall von den geplanten risikounabhängigen Beschränkungen ausgenommen. Praxis- und EU-Vertreter sind sich einig, dass diesbezüglich eine entsprechende Klarstellung vorgenommen werden müsse.
Als verbesserungswürdig erachten alle Teilnehmer die Kommunikation – diese müsse transparenter, strukturierter und verständlicher werden. Dieses Defizit bedinge für die Praxis enorme Unsicherheiten, aufgrund derer sich Unternehmer unter erschwerten Bedingungen infolge fehlender langfristiger Sicherheiten zu weitreichenden unternehmerischen Entscheidungen gezwungen sehen. Nussel sieht hier dringenden Handlungsbedarf. Wichtig sei es, durch eindeutige und belastbare Informationen den Unternehmen Planungssicherheit zu geben. Hier sei die Politik besonders gefordert.
Ein Instrument, um Belange der Praxis in die Gesetzgebung einzubringen, ist der sogenannte KMU-Check auf EU-Ebene. Durch Folgenabschätzung und KMU-Panels (Enterprise Europe Network) sollen praxisnahe und pragmatische Regelungen entstehen. Schreiber führte an, dass vor allem kurzfristig eingebrachte Änderungsanträge aus dem EU-Parlament problematisch seien, zu denen es keine Folgenabschätzung mehr gebe. Zuvor durchgeführte Abwägungen und Folgeabschätzungen würden so ggf. negiert. Vor diesem Problem sieht sich nicht nur die EU-Kommission ausgesetzt. denn auch bei der Bundes- und Landesgesetzgebung besteht diese Schwachstelle. „Wichtig wäre die Etablierung einer zweiten Stufe, die auch die parlamentarischen Entscheidungen nochmals auf Praxistauglichkeit prüft“, so Nussel.
Daran anknüpfend wird seitens der Praxis-Vertreter die dringende Notwendigkeit gesehen, EU-Vorgaben zunächst mit einer Pilotierung unter Auswahl von Pilotbranchen zu erproben, bevor eine Einführung in anderen Branchen erfolgt. Zudem brauche es grundsätzlich längere Fristen für die Umsetzung.
Das Fazit der beiden EU-Vertreter zum ersten EU-Praxis-Check fällt durchweg positiv aus:
„Es ist unheimlich interessant und spannend, vor Ort zu sehen, wie unsere Gesetzgebung und viele andere Dinge direkt in den Unternehmensalltag wirken. Sehr gut ist die Initiative des Praxis-Checks, bei dem man schaut, welche direkten Auswirkungen Regelungen für Unternehmen haben. Theoretisch diskutieren kann man natürlich auch in Brüssel. Aber das ist schon etwas ganz anderes, die Betriebsabläufe vor Ort zu sehen, als diese nur beschrieben zu bekommen.“